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Werkeinführung: Für Jan-Hendrik Brinkmann von Arne K. Fischer / Langfassung

  • Autorenbild: Arne K. Fischer
    Arne K. Fischer
  • 31. Jan.
  • 7 Min. Lesezeit

Zur Ausstellung: "Kühe und Zigaretten"

im Kunstverein Wolfenbüttel vom 20.10. — 15.12.2024


Es freut mich Sie heute zu dieser Ausstellungseröffnung zu begrüßen. Natürlich möchte ich mich beim Team des Kunstvereins Wolfenbüttel (stellvertretend Dr. Frank Loock, Anja Timpner und Stine Hollmann) für die Einladung bedanken.


Damit Sie wissen, wer mit welchem Hintergrund zu Ihnen spricht: Mein Name ist Arne (K.) Fischer. Meine Perspektive ist kultur-wissenschaftlich geprägt, mein Ansatz liegt der Rezeptionsästhetik nahe. Dies aus Überzeugung seit meinem Studium an der HBK Braunschweig und durch meine eigene Lehre an der Hochschule Hannover. Meine Argumentation ist u.a. stark von den Philosophen Roland Barthes & Bruno Latour inspiriert kurzgefasst ein Zusammenspiel von Semiotik & Soziologie.


Zudem bin ich langjähriges Mitglied des Galerie BOHAI e.V. in Hannover und dort zurzeit Vorstandsvorsitzender. Wir hatten grad am Freitagabend in der BOHAI eine gut besuchte Vernissage bei unserer Ausstellungseröffnung mit Bettina Meyer (18.10.2024) - dies als kurze Eigenwerbung - Sie sind herzlich eingeladen, auch dort vorbeizuschauen.


Vorstand KV Wolfenbüttel: Anja Timpner & Dr. Frank Loock / Gäste / Werke: JH Brinkmann / Foto: Henner Rosenkranz
Vorstand KV Wolfenbüttel: Anja Timpner & Dr. Frank Loock / Gäste / Werke: JH Brinkmann / Foto: Henner Rosenkranz

2021 haben wir Jan-Hendrik Brinkmann in der Galerie BOHAI ausgestellt. Zuvor hatten ihn drei* aus unserem Kunstverein durch Zufall unabhängig voneinander kennengelernt und seine Werke, Arbeitstechnik und konzeptuelle Auseinandersetzung als sehr eindrucksvoll und ausdrucksstark empfunden.


Meine Erstbegegnung mit ihm und seinem Werk war genau am Abend des Covid-19-Lockdowns, Herbst 2020. Ein Freitag, an dem eigentlich alle ein letztes Mal ausgehen wollten. Sie wissen sicherlich noch, wie das war zu Hause eingesperrt zu werden. Keine Ahnung, was das alles werden und für die Kunstszene bedeuten sollte.


Das eigene Leid ist dabei immer am schlimmsten: Ich hatte geplant, mit den Studierenden* eines Seminars zu einer Ausstellungseröffnung eines mir unbekannten Künstlers in die benachbarte Galerie Brutal im Ihme-Zentrum zu gehen.


Die Verni musste kurzum abgesagt werden. Und da eh alles durcheinanderging, kontaktiert ich JHB kurzfristig. Spontan haben wir uns online getroffen. Alle hatten ein, manche mehrere Getränke ihrer Wahl dabei, … ich habe diesen Freitagabend in ziemlich guter Erinnerung.


(Toll, dass es noch wieder oder immer noch freie Orte für Kunst gibt Vereine, die ein gemeinschaftliches Ziel verfolgen, Orte, an denen Menschen zusammenkommen. Leiten sie bitte an alle, die heute nicht hier sind, weiter, dass ihnen ohne uns Kulturschaffende ganz schön langweilig wird.)


Von Kühen und Zigaretten


Es ist toll zu sehen, wie viele Werke zu dem hier und heute gezeigten Kanon gehören - welche noch dabei sind, welche neu entwickelt wurden.


Besonders für mich ist allerdings, wie die Großformate hier in den Räumlichkeiten des Kunstvereins wirken. Als erster Eindruck begegnet mir eine Ansammlung lebensgroßer Porträts. Schnell wird klar, dass im Kampf zwischen Farbpracht und Grazilität auch Grafiken zu finden sind. Daneben bekommen wir sogar noch einen Einblick in Jans Skizzenbücher.


Im Allgemeinen gibt es hier also einen Überblick zu den unterschiedlichen händischen Techniken zu sehen, die JHB beherrscht. Was schwieriger zu erkennen ist, sie sehen auch Druck-Erzeugnisse … und in allem mehr oder weniger verborgen - konzeptuelle Gedankenexperimente bzw. in ihrer Entstehungsphase.


Bildstark sind alle der Bild-Gattungen, da ihnen ein traditionelles Verständnis der Komposition unterliegt. Variantenreich und wiedererkennbar mit modernen Abstraktionen unterfüttert. Der Medienübergriff, der wirkt als Modernisierung eines Sujets, das sich mit „Auf dem Lande“ beschreiben lässt. In der kontextuellen Ausweitung wird dies zu JHBs gesellschaftskritischem Kommentar, zu dem wir Betrachtenden wiederum Stellung nehmen können. (Lieber Jan, toll, dass du trotz deines Beinbruchs hier bist Danke, dass ich für - und über dich bzw. dein Werk sprechen darf.)


Speaker: Arne K. Fischer / Foto: Henner Rosenkranz / Werke: JH Brinkmann / @ Kunstverein Wolfenbüttel
Speaker: Arne K. Fischer / Foto: Henner Rosenkranz / Werke: JH Brinkmann / @ Kunstverein Wolfenbüttel

Es gibt einen aktuellen Katalog. Darin sind 4 Texte, die dein Werk betrachten. Ein zusammenfassender Text, einmal wirst du in die Kunstgeschichte eingeordnet,

ein Text verfolgt eine kritisch-politische Auseinandersetzung, einer verfolgt eine populär-kulturelle Aufmachung.


Jochen Overbeck beschreibt, wie die anderen und auch meiner Meinung nach die unübersehbare Nostalgie in den Bildern. Diese rührt unter anderem daher, dass viele deiner Bilder auf der Grundlage von Fotografien aus dem Familienfundus basieren. Für uns weder ersichtlich noch überprüfbar, ob es dein eigener Fundus ist - was es so oder so nahbar macht. Durch die Fotos entsteht Sichtbarkeit - hier wären bspw. realistisch wirkenden Perspektivfluchten zu nennen.


Sampling, ein weiterer Begriff, der sich auf das collagen-artige Zusammen-schmeißen bezieht, den Overbeck verwendet, um den Pop-Appeal der Bilder zu erläutern, indem er die Pop-Art in den vereinzelten Konsumgütern sucht und zitathafte Vergleiche anstellt. Vergleiche, die auch mir wirklich Spaß machen, sich aber nicht konsequent durch das Oeuvre ziehen und genau deshalb so verspielt und trügerisch wirken.


Overbecks Hervorhebungen sind nicht abwegig, mir allerdings ein bisschen zu einfach, da bspw. die eher abstrakt wirkenden Farbfelder oder die Eigenheiten bspw. der Girlanden zu wenig betont werden und im Vergleich zum Popappeal mehr Wirkung entfalten, wodurch sie weniger Pop-Art darstellen. Diese Rahmungen geben den Bildern etwas Ausschnitthaftes und ersetzen zumindest bei manchen Großformaten den Rahmen. Was entscheidend wird, wenn sich die Bilder zum Raum verhalten müssen.


Victoria Bargel führt über Gerüche und Stammtisch-Debatten in das Werk ein. Für sie schwingt eine romantische Verklärung dieses Milieus mit. Das Dorfleben für viele ein Rückblick, der den jugendlichen Aufbruch in die Großstadt beschreibt. Für Bargel ein intellektuelles Belächeln, vor dem wir uns in Acht nehmen müssen.


U.a. da in den irgendwie feucht-fröhlichen, witzig-schmierigen Bildern definitiv gesellschaftliche Probleme angedeutet werden: Langeweile, Alkohol und eine traditionell-konservative Wertorientierung.


Annekatrin Kohut sieht in dem Blick auf das Dorfleben ritualisierte Handlungen, die der Identifikation dienen, worin sich das Fremde und das Eigene abgleichen lässt. So stellen sich Fragen auf, was da denn sichtbar ist und was dadurch alles verdeckt bleibt. Über das Werk hinausgehend lassen sich bildnerische Mittel wie Lautstärke und Lautschrift in den verwendeten Motiven und situativen Kontexten finden.


Die Farbenfreude wirbt nach Kohut für eine Toleranz in der Betrachtung …

und sind wir mal ganz ehrlich: Party-Pics von uns sehen auch eher schonungslos aus … oder wer möchte gern beim genüsslichen Schmatzen des Frankfurter Kranzes fotografiert werden?


Angesichts deiner großen Einzelausstellung im niedersächsischen Syke (16.06. - 29.09.2024) bei Bremen beschriebt Nicole Giese-Kroner die verwendeten Techniken bspw. dominante Collage, klare Muster, harmonische Komposition, visuelle Balance und Spannung in Bezug auf … David Hockney: Was ist oder was könnte dort passieren? So kann auf einen ungeklärten Möglichkeitsraum vor, nach und neben den Bildausschnitt hingewiesen werden.


Den Vergleich zu Piet Mondrian finde ich wichtig, da die ent-/ bzw. funktionalisierenden Farbräume einen m.E. höheren Stellenwert als bei Overbeck einnehmen und überhaupt erst die abstrakte Rezeption ermöglichen, allerdings darf der Fokus hier nicht stehen bleiben.

So, dass wir die Szenerie eher als Kulissen und Stillleben wahrnehmen können, die neben dem fotografisch dokumentarischen Charakter diesen Zugang zum Abstrakten ermöglichen. Sie brechen die Bildbedeutungen auf nachdem uns die poppigen Farben so verführerisch in das Bild hinein gezogen haben.



Erfreulich und ballernd haben wir die Wirkung bei uns in der Galerie genannt. Der Künstler ballert manchmal einfach so hin und dann ist da trotzdem noch mehr Erfreuliches. Ja, die Bilder sind verführend, sie machen Spaß und regen zum Nachdenken an.


Ich habe es vorher schon angesprochen und ich meine es ernst. Vier Autoren, die um die Deutungshoheit buhlen, alle werden schnell fündig, alle liegen richtig und kurz danach auf der Nase, da die Antwort bei JHB nur in der kontemplativen Beschäftigung ohne Schnellschüsse liegen kann.


Ja, die Bilder sind darstellend: Sie benennen und bewahren die Nostalgie im Alltag, sie belustigen sich allerdings nicht, es findet eher eine Rekontextualisierung der Bildmotive statt. Es gibt neben der inhaltlichen Bedeutung Themen die weniger angesprochen wurden. Kontexte, die eine kontemplative Auseinandersetzung brauchen.


Die Bildflächen sind teilweise perspektivisch aufgebrochen, sie ordnen die Bezüge anders an, können etwas neu vorholen oder eröffnen verdeckte Kontexte, die ohne dies nicht sichtbar wären bspw. Geschichten, die hinter den Häusern abseits stattfinden.


Beachten sie die Ränder und Girlanden. Die Werke lassen sich als Serie verstehen. Es ermöglicht sich in einzelne Werke hinein, aber auch über sie hinaus zu denken.


Die Details in den Bildern: Nirgendwo lese ich etwas über den feinen Pinselstrich!

Das Grafische findet kaum Erwähnung! Wie kann das sein? Schauen Sie sich das bitte mal genauer an. Nicht nur am Bildschirm oder im Katalog.


Rhythmus bzw. die Wiederholung im Bild … erläutere ich jetzt nicht mehr, auch eine Möglichkeit, in die Tiefe zu gehen. Fragen Sie doch mal JHB danach.


Da ich hier nur in das Werk einführe, möchte ich also Aufgaben verteilen:


Bitte die künstlerische Ausarbeitung mehr wertschätzen: Der Künstler beherrscht sein Handwerk. Bitte mehr vom Werk an und für sich ausgehen. Bitte weniger einzelnes überbewerten. Mehr das Zusammenspiel des Medienübergriffs der Collage und diese mehr als Modernisierung von Konkretion und Abstraktion in der Malerei verstehen. Kontext und Kontemplation.


Gäste @ KV Wolfenbüttel
Gäste @ KV Wolfenbüttel

Wie komme ich da hin? Da ich anders und komplexer denke (Akteur Netzwerk Theorie & Mythologie) … und durch die Gespräche mit Jan über die Jahre.


Einen Künstler und sein Werk periodisch in seiner Entwicklung zu begleiten ist schon ein besonderer Umstand. Nein, auch ich kann nicht alles direkt am Werk deuten, allerdings konnte ich es hinterfragen. Wobei er mich immer wieder überzeugen konnte, dass da noch mehr ist, auch, das manches noch im Hintergrund wartet.


Das Gespräch über und die Erforschung des Kanon’teks ist noch nicht abgeschlossen. Denn JHB lädt gerne zum Gespräch über sein Werk ein.

Bspw. gab es die Idee des raumgreifenden und wie du die Betrachtenden mehr einbeziehen möchtest …


Du hast mir auch erzählt, dass es komische Vorwürfe gegenüber den Darstellungen der Personen gibt. Teilweise erscheinen diese absurd und man sollte diesen Äußerungen den Spiegel vorhalten, um die Bilder vor Vereinnahmung zu schützen.

Andererseits gefällt mir an den Vorwürfen, dass Jan sie einfach als Assoziation oder auch Selbstdarstellung der Betrachtenden aufnimmt. Ohne sich dabei über die Rezeption lustig zu machen. Es sei denn, etwas wird streitbar. Verständlich, wenn man es selbst gemalt hat … auch teile ich die Behauptung, dass ein Kunstwerk angeblich nicht mehr dem Künstler gehört, sobald es der Öffentlichkeit präsentiert wird nicht. Du hast mir versichert, dass du in deinen Bildern am ehesten die Ehrlichkeit der Menschen und ihre Berufe darstellen willst, das freut mich.


Und bei allem, was jetzt noch offen geblieben ist … Jan ist anwesend und freut sich über den Austausch.








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